Spontane Erweiterung eines selbstverwalteten Betriebes in eine Assoziation – Praxisbericht aus dem Waldviertel in Österreich

Zugegeben, für eine, der Dreigliederung des sozialen Organismus verpflichteten, selbstverwalteten, brüderlich-solidarischen und bedarfsorientierten Wirtschaft braucht es eine gute Praxis. Ohne Praxis, die zeigt, wie das geht kommen wir nicht weit.

Normalerweise suchen wir nach Praxisbeispielen, in denen eine Gruppe von Menschen sich zuerst denkend, fühlend und wollend mit den Ideen der Dreigliederung auseinandersetzen, um sie danach in die Praxis umzusetzen. Das ist gut so und führt zu vielen interessanten Initiativen.

Was dabei aber ausser Acht gelassen wird, ist die Tatsache, dass die Prinzipien der Dreigliederung lebendige Ideen sind, die bereits – vor ihrer «Umsetzung» – Teil des sozialen Organismus sind. Sie warten auf die Bedingungen, unter denen sie sich entfalten können. Deshalb treten sie auch spontan aus dem sozialen Leben hervor.

Dazu hörte ich vor kurzem einen spannenden Vortrag von Heini Staudinger, dem Gründer der selbstverwalteten Waldviertler Schuhwerkstatt und der GEA-Schuhhandelskette. Als selbstverwaltetes Unternehmen, weist die Waldviertler Schuhwerkstatt ein grundlegendes Merkmal der assoziativen Wirtschaft auf, auch wenn es nicht aus diesem Denken heraus begründet wurde.

Das Unternehmen wurde von den Coronamassnahmen der österreichischen Regierung hart getroffen. Es war klar, wenn alles bleibt, wie es ist, ist die Überlebensfrage nicht mehr weit. Durch die Aktion eines einzigen Kunden, verwandelte sich die selbstverwaltete Schuhwerkstatt urplötzlich in eine Assoziation.

Der Kunde hatte genug Schuhe – sein eigener Bedarf war gedeckt, aber er wollte trotzdem etwas zur Rettung «seiner» Schuhwerkstatt tun. Er wusste, wenn sie nicht mehr produziert, dann geht sie ein. Sie kann dann auch seinen zukünftigen Bedarf nicht mehr decken. Er schenkte der Schuhwerkstatt etwas Geld. Damit sollten sie nicht Schuhe für ihn selbst, sondern für die – von den Coronamassnahmen noch härter betroffenen – obdachlosen Mitmenschen, herstellen.

Viele weitere Kunden folgten seinem Beispiel. Es kam fast eine Million Euro zusammen. Die Produktion orientierte sich damit auch am Bedarf der obdachlosen Mitmenschen. Sie wurden mit über 23`000 Paar Schuhen beschenkt und die Arbeiter hatten genug zu tun, trotz dem Auftragseinbruch durch die Coronamassnahmen.

Der selbstverwaltete Betrieb hatte sich spontan in eine Assoziation verwandelt! Er stand nun auf der viel breiteren Basis einer Kooperation von Produzenten, Händler und Kunden. Im Zentrum standen plötzlich nicht mehr nur der eigene Bedarf an Schuhen, oder die Erhaltung der eigenen Arbeitsplätze, sondern die Sicherung der Produktion, erfolgte über den Einbezug der Bedürfnisse der obdachlosen Brüder und Schwestern. Diese hatten zwar dringenden Bedarf an guten Schuhen, aber kein Geld, um dafür zu bezahlen. Ein schönes Beispiel für das brüderliche Wirtschaftsleben!

Schaut Euch die äusserst spannende Schilderung dieser Episode im Originalton von Heini Staudinger selber an (mit Klick hier oder auf Bild ganz oben) Wer erfahren möchte, wie sich diese Episode in die äusserst spannende Biografie eines kreativen Freigeistes einreiht, soll unbedingt den ganzen Vortag ansehen (Zeitmarke 1:03 bis 2:08 auf diesem Link).

Stephan Rist, August 2023

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